Odenberg

Gerichtsplätze als Teile der historischen Kulturlandschaft

Wir stehen am Hang des Odenberges vor einer fast ebenen Wiese. Wo heute Rinder grasen oder Heu gemacht wird, war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein Richtplatz.

Blickt man vom Schlossberg in Gudensberg in nördlicher Richtung, so ist diese offene Fläche am Nordwesthang des Odenberges, umwachsen von Kopfhainbuchen und Fichten, deutlich zu sehen. Auch von Besse, Baunatal und Großenritte aus ist der ehemalige Richtplatz gut einsehbar. Er wird das „Galgenstück“ genannt. Dieser Ort ist auf einer Karte aus dem 18. Jahrhundert mit einem Galgen markiert.

Ursprünglich tagten Gerichte unter freiem Himmel. Weil die alten Gerichtsplätze meist im 18. Jahrhundert aufgelöst wurden, sind sie äußerlich in der freien Natur kaum noch zu erkennen.

Die Gerichtsplätze leiten sich meist ab von den germanischen Thingplätzen. Dort wurden Gerichtsverfahren abgehalten und Stammesangelegenheiten besprochen. Unter den Franken wandelten sich diese Versammlungen der „freien Männer“ zu einer Gerichtsversammlung des Grafen. An deren Stelle trat im Mittelalter die Gerichtsverfassung der Städte und Landesherrschaften. Gerichtsplätze können zugleich Richtplätze und Hinrichtungsstätten gewesen sein. Oft weisen Flurnamen wie „Galgenberg“ auf diese Plätze hin.

Die Hexenprozesse

Vor nur rund 350 Jahren, im Jahr 1662, begann in der Stadt Gudensberg ein „Hexenprozess“ gegen fünf Frauen aus Besse. Alle Frauen wurden während ihrer Inhaftierung gefoltert. Vier der Frauen wurden 1662 hingerichtet. Die erhaltenen Gerichtsakten des Verfahrens gegen die „Hirtenbarbara“ zeigen, dass diese Frau im Alter von 74 Jahren eingesperrt wurde. Fast ein Jahr lang, bis ins Jahr 1663, dauerte der Prozess gegen sie. Auch die „Hirtenbarbara“ wurde zum Tode verurteilt. Sie starb jedoch eine Nacht vor der Vollstreckung im Gefängnis. Ihre Leiche wurde nicht auf dem Friedhof bestattet, sondern auf dem Richtplatz verbrannt.

Im Eintrag des Kirchenbuches von Besse stehtFolgendes zu den vollstreckten Urteilen: „Nach Pfingsten 1662, also etwa im Juni 1662 ist die ‘Göddeling’ … und Gertrud … , beyde beinahe 60 Jahre, sind nach Pfingsten stranguliert ufm Scheiderhaufen und verbrand beym Odenberg wegen bekannter Zauberey … Johann Schmidts Frau ist decolliert und der wegen mit verbrand worden.“ Die Enthauptung durch das Schwert hieß im Mittelalter decolltieren.

Gudensberg hatte zu der Zeit die hohe Auszeichnung eines eigenen Gerichtsstandes. Es war ein sogenanntes Blutgericht, in dem Mord, Totschlag, Räuberei, Brandstiftung und auch Zauberei verhandelt wurden. Dieses Gericht hatte die Legitimation, Todesurteile zu fällen. Die Hexenprozesse gehörten zu den Sonderverbrechen, deren letzter Akt fast immer auf die Todesstrafe hinauslief.

Der Odenberg – ein Sitz der germanischen Götter?

Bereits 1154 gibt es die erste urkundliche Erwähnung eines „Wuodenberg“ – der Berg des Gottes Wotan, des höchsten germanischen und nordischen Gottes. „Wuotan“ ist die althochdeutsche schriftliche Form von Odin, dem vorchristlichen Göttervater, Kriegs- und Totengott, aber auch dem Gott der Dichtung.

Auch die mündlichen Überlieferungen der Sagen und Mythen erinnern an den kultischen Ort Odenberg. Darin ist von einem Aufenthalt Karls des Großen die Rede, dessen historische Anwesenheit auf dem Odenberg jedoch nicht belegt ist. Als Kaiser Karl auf dem Odenberg weilte, so wird überliefert, war das Heer am Verdursten. Der Herrscher rettete seine Männer, indem er nordöstlich des Hanges sein Ross auf den Boden stampfen ließ und damit eine Quelle, den „Glisborn“, zum Sprudeln brachte.

Die Übertragung eines vorchristlichen, „heidnischen“ Ortes auf eine Begebenheit mit christlichem Bezug gibt es häufiger. Hier wurde der heidnische Gott Odin durch den christlichen Kaiser Karl ersetzt, da das Christentum die alten Götter vergessen lassen wollte. Selbst Odins achtbeiniges Pferd Sleipnir findet seine Entsprechung im Ross Karls des Großen.

 

Fragen:

Von wo aus waren die Hingerichteten des alten Richtplatzes zu sehen?

Wie lange ist es her, dass in dieser Region noch „Hexen“ verbrannt worden sind?

Auf welchen germanischen Gott könnte der Name „Odenberg“ hinweisen?

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